Mittwoch, 4. Oktober 2023

Sich fühlen wie ein Parasit


Angekommen in Bosnien und Herzegowina, kurz hinter der Kroatischen Grenze. Vorbei an grimmig schauenden Grenzpolizisten, dessen einfachste Gesten ich missverstand, erreichten wir eine kleine Anhöhe, die uns dank Google maps empfohlen wurde. Das letzte, was uns die Zivilisation verraten hat, denn unser Internet funktioniert hier nicht mehr.


Was für eine Katastrophe. Oder wie ich heute, wenige Stunden später feststellen durfte, konnte und musste: Gott sei Dank.


Es ist dunkel, so schwarz, wie man sonst nur kolportiert, wenn man die Floskel: Schwarz wie die Nacht“, dahinsagt. Im Hintergrund ein für zivilisierte Ohren beängstigendes Gebell von Hunden, vor uns ein Rohbau, dessen Dasein im Kopf eines Westeuropäers wie mir eine Kriegsruine erinnern möchte.


Das kalte Bier aus dem Kühlschrank unseres Vans bleibt mir im Hals stecken, bei all den düsteren Bildern in meinem Kopf, die sich einfach nicht verdrängen lassen wollen. Krieg, Zerstörung, schreiende Kinder und sterbende Frauen hämmern unweigerlich auf meine eindrücke, als dürfte all das hier nicht so friedlich sein sollen wie es ist.


Die Filterzigarette in meinen Mundwinkeln brennt aus und, obwohl ich noch nicht schlafen will, kann ich nicht anders, als durch die klamme Nacht ins Bett zu kriechen, was Silvana, meine Frau schon vorgewärmt hat.


Noch einige Male werde ich von Träumen geweckt, die wohl düster gewesen sein müssen, denn nichts, wirklich gar nichts ist hier düster. Selbst die Einschusslöcher im Müllcontainer zu unserer Rechten, sind nur Spielreminiszensen, die aus der Not von fehlenden Alternativen herrühren.


Als die sonne sich dann endlich bequemte aufzugehen und den letzten Morgennebel zwischen den Hügeln zu verdrängen suchte, habe ich immer noch nichts gelernt: wie kommen wir hier weg, ohne Internet und nur bewaffnet mit einem Atlas aus dem Jahre 2004. Erst mal eine der günstigen Camel entzünden, und den ruhelosen Geist mit einem frisch aufgebrühten Kaffee besänftigen.


Komisch, die Mücken hier stören gar nicht, denke ich so bei mir, als Silvana mit verschlafenen Augen zu mir rüber lächelt und mich, ohne ihren Mund zu bewegen mit einen Kuss begrüßt. Sie hat gut geschlafen, was man auch an ihrem süßen schnarchen vernehmen konnte, aber wer weiß schon, was in ihren Träumen passiert ist, die so lange ihr Geheimnis bleiben, bis sie bereit ist, diese mit mir zu teilen. Sie ist heute nicht gewillt und ich bin dankbar dafür, denn es ermutigt auch mich, endlich einmal meine Klappe zu halten und nicht von meinen medial verseuchten Gedanken zu berichten.


Wie geht es jetzt weiter? Hast du einen Plan? Flüstert mir Silvana, neben mir auf einem Backstein sitzend entgegen. Ich weiß es nicht, denn ich bin so überwältigt von der friedlichen stille um mich herum, die sich nur langsam, von Kriegswissen der Geschichte befreien lässt.


Dann schweigen wir und genießen das surren der Bienen, die, wie sich kurz später herausstellte, der Grund für das Angst einflößende Bellen der Hunde war, denn diese teilen sich mit den Bienen eines Imkers in den Bergen ein Zuhause.

Freilich haben sie mir dies nicht persönlich verraten, sondern Slatan, der uns kurz später mit einem freundlchen „Habt ihr gut geschlafen?“ begrüßt.


Er und seine Familie und einige Bekannte bauen hier ein Gemeindezentrum und umarmen uns mit einer unverfälschten Freundlichkeit die Silvana und mich zu Tränen rührt. Er und Anton, der wenig später mit seinem Opel Astra um die Ecke rauscht, haben beide in Deutschland gelebt, Slatan in Ost-Berlin und Anton in Dortmund. Beides keine Oasen der Schönheit und kein Jungbrunnen für ihre Gesundheit, wie u.a. das steife Knie von Anton verrät.


Dennoch scheinen wir willkommen. Obwohl kurz vorher auch schon ein anderes Paar aus Deutschland, wahrscheinlich nicht das erste und wir nicht das letze, hier einige Zeit verbrachte. Auch diese haben übrigens ihr Hab und Gut verkauft und sich wie wir auf den weg ins Unbekannte begeben; einfach nur weg.


Der etwas kompliziert verpackte Käse schmeckt herrlich im frischen Brot, auch wenn ich dem Bier einen türkischen Kaffee als Erfrischung dazu vorziehe.


Aber jetzt schließe ich für heute, denn zu viel muss noch verarbeitet und verdaut werden. Was wir jetzt vorhaben? Erst einmal bleiben, wenn der zukünftige Job das nicht verstehen kann, ist er eh nicht der richtige für mich, der bereits jetzt ein anderer ist.


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