Donnerstag, 5. Oktober 2023

Unbezahlbarer Reichtum

Wenn die Sonne über diesem kleinen Dorf im Nirgendwo von Bosnien aufgeht, ist der Boden noch so kalt, dass man sich kaum vorstellen kann, dass man kurze Zeit später schwitzen wird.

Und genauso unvorstellbar wie dieses Phänomen, ist auch das, was die sogenannte Zivilisation aus Flecken wie diesen machen kann.


Hier ist es Abend so still, dass man den einzigen noch wachen Vogel in weiter Entfernung hören kann. Hier, wo schwarze Eichhörnchen, Bären und Füchse sich gute Nacht sagen, entspringt noch eine Quelle, die bis dato nie versiegt ist und an der sich die Menschen aus der gesamten Region mit frischestem Quellwasser versorgen. Und ich spreche an dieser Stelle nicht nur von armen Bergbauern, sondern einem durchschnitt der gesamten Bevölkerung, die sich hier heimisch fühlt. Einwanderer aus Unna, Ärzte aus Dubrovnik, Maurer aus Zagreb sowie Landwirten aus der direkten Nachbarschaft.


Es soll hier unzählige dieser Quellen geben, genauso, wie es sie in Kroation gibt und gab, nur das es an dieser Stelle weder einen einprägsamen Markennamen noch eine Abfüllstation gibt. Es dauert, bis sich die kleinen und großen Kanister füllen und manchmal nutzen die Gäste die Gelegenheit, um sich mit Slatan, direkt gegenüber zu unterhalten, der hier allein ein kleines Gemeindezentrum errichtet. Mit Hammer Meissel und einer Kreissäge ausgestattet, entsteht hier in unfassbar kurzer Zeit, vor, neben und nach Gastbesuchen ein Ort der Gemeinschaft, der so viel Strom aus dem nahegelegenen Staudamm bekommt, dass wir uns kostenlos bedienen dürfen.


Es ist nicht Armut, die hier regiert, auch wenn sich diese an durchaus sichtbaren Stellen nicht kategorisch negieren lässt, sondern Zeit. An diesem, beinahe heiligen Ort braucht man nicht viel Geld, sondern Respekt vor Natur und dem Dasein.


In einigen Gesprächen mit Slatan, habe ich durchaus kontroverse Ansichten vernommen, aber ich muss zugeben, dass ich nicht mehr so abgestoßen bin wie ich es vor einigen Wochen noch gewesen wäre, denn es stimmt, hier braucht man Europa wie eine 18-jährige Botox. Denn Europa zeigt sich in Gefilden wie hier als der Teufel, den unsere Welt nie gebraucht hat.


Gewiss, medizinische Versorgung und auch andere zivilisatorische Errungenschaften wie einwandfreies Internet, genießt und schätzt man auch hier, aber hier braucht es keine gigantischen Supermärkte oder Autobahnen von München bis Athen, sondern helfenden, idealistische Hände, die Menschen wie Slatan bei seinem Vorhaben unterstützen, damit es nicht seine Mutter sein muss, die Maschinen an die Baustelle bringen, sondern junge Menschen mit dem Herz an der richtigen Stelle und Tatkraft.


Wenn wir den Anschluss an Europa schaffen, so Slatan, dann muss ich an Menschen wie die Chinesin vor einigen Monaten verkaufen, denn dann will ein Aufschwung finanziert werden, der Fernseher und Toaster finanziert und Slowenien zum nächsten Aspiranten auf die rote Laterne dieses so unkritisch gefeierten Konzeptes Europäische Union macht. Dann müssen wir wie vormals Athen unseren Hafen für die Baukosten eines Olympiastadions verkaufen und ihr, so Slatan, für die gleiche Stelle mit weniger Lebensqualität wie in Kroation 50 Euro die Nacht zahlen.


Beim unangenehmen Grübeln über diese Worte erinnere ich mich an Padua vor einigen Wochen, wo wir im Dom des heiligen Augustinus „strandeten“. Er, der gläubige Portugiese, Schutzheilige der Suchenden, rührte mich damals zu Tränen und bewegte mich, eine Kerze für meine Mama zu kaufen. Als ich sie ihr schicken wollte, meinte sie, Du kannst sie auf Eurer Fahrt besser gebrauchen als ich hier und sie hatte Recht.


An diesem kleinen Ort war sie wie ein Geschenk des Himmels, denn ich hatte etwas womit ich mich würdig bedanken konnte. Und so entzündete ich eine Kerze am Fusse der kleinen Quelle, von der ich eingangs berichtete und freue mich, dass ich nicht genötigt war, meine Dankbarkeit anders auszudrücken versuchen zu wollen.


Bis morgen,


Euer Ulf


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